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Das Ende der Unschuld

Am 24. März 2003 erklärte Dänemark dem Irak den Krieg. Fast auf den Tag genau vier Jahre später nimmt Gretelise Holm Stellung zu dem Thema und erklärt im Interview mit schwedenkrimi.de auch, warum das Ende der Unschuld für Dänemark bereits 1945 begonnen hat.

 
Die Autorin Gretelise Holm im Gespräch mit schwedenkrimi.de Die Autorin Gretelise Holm im Gespräch mit schwedenkrimi.de
Die Autorin Gretelise Holm im Gespräch mit schwedenkrimi.de Die Autorin Gretelise Holm im Gespräch mit schwedenkrimi.de
Gretelise Holm - Foto: Patrick Zöller/schwedenkrimi.de
Literaturportal schwedenkrimi.de: Ich habe gelesen, dass Du von Deiner Verlegerin seinerzeit gefragt wurdest, ob Du nicht einen „feministischen Krimi“ schreiben könntest …

Gretelise Holm: Nicht feministisch. Aber eine Art „Frauenroman“ sollte es schon werden. Ich hatte gerade das Buch „Das Mercedes-Benz-Syndrom“ veröffentlicht, das ja ein kritischer Thriller ist. Deswegen kam sie auf die Idee, mich zu fragen. Zu der Zeit gab es noch nicht so viele Krimiautorinnen in Dänemark, vor allem keine dänische Liza Marklund. Ich habe damals spontan ja gesagt und dann drei Jahre lang nichts mehr gemacht, weil andere Dinge dazwischen kamen, aber dann habe ich mich 2001 doch an meinen ersten Krimi gemacht.

Literaturportal schwedenkrimi.de: Und inzwischen bist du nicht mehr alleine …

Gretelise Holm: Nein, inzwischen gibt es ganz hervorragende Autorinnen wie Kirsten Holst, Elsebeth Egholm oder Sara Blædel. Im Moment ist auch eine Tendenz erkennbar, dass sich die Grenzen zwischen „U“- und „E“-Literatur immer stärker verwischen. Beide Genres nähern sich einander an. Ich selbst bin ja auch so ein „Zwischending“. Besonders mein letzter Roman „In tiefem Schlaf“ ist kein traditioneller Krimi mehr. Er hat etwas von einem Agententhriller und einem „richtigen“ Roman. Gleichzeitig ist es auch eine sehr persönliche Geschichte.

Literaturportal schwedenkrimi.de: Bevor wir darüber reden, möchte ich noch mal zum Anfang zurückkehren. Was gab denn dann schließlich den Auslöser, einen Krimi zu schreiben?

Gretelise Holm: Ich habe mich schon immer mit Recht und Gesetz beschäftigt. Schon als Journalistin. Bereits 1984 habe ich ein Sachbuch geschrieben, das sich mit den Mitläufern des Rechtssystems beschäftigt. „Lov og ret“ heißt das, und ich räume darin mit dem Mythos auf, dass es so etwas wie soziale Gerechtigkeit gibt und dass aus Menschen, wenn man sie wegsperrt, anschließend bessere Menschen werden. Im Gegenteil. Eine Gefängnisstrafe macht alles nur noch schlimmer. Familien brechen auseinander. Gefängnis bedeutet nur, Rache zu nehmen, hilft aber niemandem. Ich habe also all meine 20jährige Erfahrung als Journalistin zusammengenommen und meine Erkenntnisse in eine andere Richtung gelenkt.

Literaturportal schwedenkrimi.de: Was war denn das bewegendste Erlebnis, das du in dieser Zeit hattest?

Gretelise Holm: Ich hatte mal mit einer Mutter von drei Kindern zu tun, die bei der Royal-Copenhagen Porzellanmanufaktur geputzt hat. Über Jahre hinweg hat sie dort Porzellanfiguren gestohlen. Sie bekam vier Jahre Gefängnis dafür, aber geholfen hat das niemandem. Die ganze Familie ist zerbrochen. Es gab keinen Vater und so wurden die Kinder auf verschiedene Pflegefamilien aufgeteilt. Ich kann das Porzellan niemals betrachten, ohne an sie zu denken.

Literaturportal schwedenkrimi.de: Inwiefern beeinflussen solche Erlebnisse dein Schreiben?

Gretelise Holm: Ich war schon immer auf der Seite der Schwachen. Ich habe mich niemals an der Jagd der Polizei nach den Verbrechern beteiligt, so wie es die Medien heute tun. Ich habe das journalistische System immer als vierte Instanz gesehen, die die Justiz und Polizei kontrollieren muss. Ich finde auch nicht die Jagd an sich spannend oder herausfordernd. Als Journalistin würde ich sicher nicht in die heutige Zeit passen.

Literaturportal schwedenkrimi.de: Passt Karin Sommer in die heutige Zeit?

Gretelise Holm: Nein, nein, sie auch nicht. Obwohl die Situation eine andere ist. Ich war immer in der Hauptstadt tätig, Karin arbeitet bei einer lokalen Zeitung. Aber auch sie beobachtet und fragt sich, was wohl passiert, was in der Gesellschaft vor sich geht.

Literaturportal schwedenkrimi.de: Wir fragen uns nach der Lektüre von „In tiefem Schlaf“ auch, wie es mit Karin weitergeht …

Gretelise Holm: Ja, sie bereitet sich auf die Pensionierung vor, obwohl sie das niemals so nennen würde. Dazu ist sie viel zu agil und neugierig.

Literaturportal schwedenkrimi.de: Es wird also weitere Romane mit Karin Sommer geben?

Gretelise Holm: Vielleicht. Na, es wird sie immer geben. Es wird wohl auf eine Freelancer-Tätigkeit hinauslaufen.

Messeimpressionen in Bildern - Hier KlickenLiteraturportal schwedenkrimi.de: Sie erinnert schon ein bisschen an dich …

Gretelise Holm: Ja! (lacht) Obwohl es schon Unterschiede gibt. Ich bin seit 36 Jahren verheiratet, sie nicht. Ich habe immer in Kopenhagen gearbeitet, sie bei der Lokalpresse. Also, so viel haben wir vielleicht doch nicht gemein. Sonst könnte ich nicht über sie schreiben. Man darf die Figuren nicht zu nah an sich herankommen lassen. Das engt einen ein, weil man ständig denkt, ist das gut oder schlecht. Solche Gedanken hindern beim Schreiben. Aber natürlich teilt sie so manche Ansichten mit mir.

Literaturportal schwedenkrimi.de: Du hast es schon erwähnt. Dein neuer Roman „In tiefem Schlaf“ ist auch eine sehr persönliche Geschichte.

Gretelise Holm: Ja, ihm liegt die Geschichte meiner Mutter zugrunde. Ich bin 1946 geboren und mit Omas Geschichte aufgewachsen. Meine Mutter hat mir viel vom Krieg erzählt und von der Flucht von „Oma“ aus Ostpreußen nach Dänemark. Meine Mutter hat sie damals als ganz junge Frau aufgenommen. Sie hatte ihre Mutter selbst als Zehnjährige verloren und sie immer als Mutter betrachtet. Für uns war sie immer unsere ostdeutsche Oma. Ihr Foto hing zwischen all den anderen Familienfotos an der Wand. Bei Kriegsende aber wurde der Kontakt zu den deutschen Flüchtlingen verboten und auch Oma kam in das Lager Oksbøl. Als ich dann anfing, über das Schicksal der deutschen Flüchtlinge in Dänemark zu recherchieren, konnte ich keine einzige Zeile dazu in den Geschichtsbüchern finden – dabei befanden sich bei Kriegsende 240.000 deutsche Flüchtlinge in Dänemark! Erst 1949 wurden die letzten von ihnen nach Deutschland repatriiert. Zuerst wollte sie nämlich niemand haben. Das ist der nächste Skandal: Die Siegermächte wollten sie nicht! Man hatte nämlich längst ihr Land und ihre Heimat zwischen Polen und Russland aufgeteilt. Sie konnten nirgendwo hin.

Literaturportal schwedenkrimi.de: Du sagst, du konntest über das Schicksal der deutschen Flüchtlinge in Dänemark kaum eine Zeile in den Geschichtsbüchern finden. Gab es denn keine Aufarbeitung der Geschichte in Dänemark? Habt Ihr Euch nie mit Eurem Verhalten während des Zweiten Weltkrieges auseinandergesetzt?

Gretelise Holm: Nicht in der Breite, nicht mit dieser medialen Aufmerksamkeit und nicht in Form einer öffentlichen Debatte, wie es dann nach Erscheinen meines Buches in Dänemark der Fall war. Natürlich hatten sich schon ein paar Historiker mit dem Thema beschäftigt, aber eine breite, öffentliche Diskussion gab es zuvor eigentlich nicht. Es wurde immer gesagt, man muss das aus der Perspektive der Menschen damals sehen. Deutschland hatte den Krieg begonnen und so viel Leid über alle gebracht. Die Haltung war: Sie hatten es nicht besser verdient. Dabei ging es doch um Kinder! Um Babys, die gerade erst geboren waren, um alte Frauen. Es war ein Kriegsverbrechen, diese Leute zu bombardieren, als sie flohen. Und es ist immer und überall dasselbe. Im Krieg macht sich jeder schmutzig. Jede Partei begeht Verbrechen. Warum das verschweigen?

Literaturportal schwedenkrimi.de: Wie haben denn die dänischen Leser das Buch aufgenommen?

Gretelise Holm: Es bekam sehr gute Kritiken und viele – auch alte Menschen – sind zu mir gekommen und haben gesagt, dass sie davon gar nichts wussten. Aber das ist ja auch kein Wunder. Die Deutschen wurden wegsperrt in Lager und hausten in Baracken. Sie bekamen kaum Essen, kein Brennholz. Viele von ihnen erfroren. Wenn man nach Oksbøl fährt, kann man die Gräber sehen. Viele Kinder liegen dort begraben. Manche waren erst ein paar Monate alt. Am schlimmsten nahmen natürlich die Rache, die zuvor am eifrigsten mit den Nazis kooperiert hatten … Aber wenn man sagt, Ihr Deutschen, Ihr seid selber Schuld, macht man es sich zu einfach. Wir sind alle schuldig. Im Krieg bleibt keiner unschuldig. Das zeigt sich auch gerade jetzt, wo Dänemark am Irak-Krieg teilnimmt. Wir müssen uns unserer Vergangenheit stellen und auch überlegen, wie wir mit den Flüchtlingen aus dem Irak heute umgehen und einsehen, dass wir uns im Irak schuldig machen. Ich fand es erschreckend, dass es in Dänemark – anders als in Großbritannien – keine Debatte gab, als wir Seit an Seit mit den USA in den Krieg zogen! Ich beteilige mich übrigens an einer Klage gegen diesen Krieg, denn unsere Verfassung verbietet es uns, an einem Krieg teilzunehmen, der nicht von der UN sanktioniert ist. Insgesamt sind wir 24 ...

Literaturportal schwedenkrimi.de: Das ist nicht gerade viel …?

Gretelise Holm: Nein, die Dänen sind nicht mal zu den Demos gekommen. Es hätten Tausende kommen sollen. Ich fühlte mich so verzweifelt und hilflos. Niemand schien sich für das Thema zu interessieren. Es gab natürlich Leitartikel in den Zeitungen, aber die Debatten, die dort geführt werden, sind manchmal so weit weg von den Leuten. Also habe ich zu dem einzigen Mittel gegriffen, das mir zur Verfügung steht: das Schreiben. Ich habe mich also daran gesetzt, das Thema in einen Krimi zu verpacken.

Literaturportal schwedenkrimi.de: Zum Glück für uns! Vielen Dank für das interessante Interview.


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Autorin: Alexandra Hagenguth - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien, Über Feedback freuen wir uns sehr, einfach hier klicken.
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