Ein neuer Fall für Stella Blómkvist. Das
vierte Buch der isländischen Krimiautorin Stella Blómkvist
liegt nun vor. Eigentlich ist es das dritte Buch in der Reihe über
die isländische Rechtsanwältin, aber aus unerfindlichen Gründen,
erscheint dieser erst jetzt.
Reich wird man nur, wenn man seine Hände in anderer Leute Taschen
hat
Stella wird an einem Sonntag, als sie gerade dabei war, sich selbst das
höchste Vergnügen zu verschaffen, aus dem Bett geklingelt. Ein
Pfarrer fragt im Namen seines Schwiegervaters um ihre Hilfe an. Der Schwiegervater
ist Richter am Obersten Gericht. Der Richter wird des Mordes verdächtigt
an einer jungen Frau. Diese wurde ermordet auf dem Sofa in seinem Büro,
im Haus des Obersten Gerichts aufgefunden. Erstochen. Sie ist Schauspielerin
und Tänzerin in Nachtclubs und der Richter hatte ein Verhältnis
mit ihr. Außerdem wird der Richter gefilmt, wie er mit dem Opfer
kurz vor dem Mord, das Gericht betritt und kurz darauf ohne sie, es wieder
verlässt. Es sieht nicht gut für ihn aus, vor allem, da er kein
hieb- und stichfestes Alibi vorweisen kann. Als Motiv wird Erpressung
vermutet, da bei der Toten ein Video gefunden wird, dass den Richter und
sie beim Liebesspiel zeigt. Stella als Meisterin aller hoffnungslosen
Fälle übernimmt die Verteidigung. Richtet sich nach dem Grundsatz,
dass jeder Mensch solange unschuldig ist, bis seine Schuld vor Gericht
bewiesen wird. Der Richter ist tief in die politischen Seilschaften verstrickt.
Kam auch durch politische Kungeleien zu seinem Posten und seine Berufung
war höchst umstritten. Die Tote, Sjöfn, Schauspielerin und Stripperin,
wird als unmoralische, ordinäre Hure bezeichnet, die nur an sich
selbst denkt und keine Rücksicht auf die Gefühle anderer nahm.
Dann bekommt Stella einen zweiten Auftrag. Ein Isländer, der nach
Amerika ausgewandert ist, ruft sie an, da er keinen isländischen
Pass bekommt. Es gibt ihn nicht. Er ist als gestorben eingetragen. Es
handelt sich um einen gewissen Geirfinnur Einarsson, der vor ein paar
Jahrzehnten spurlos in Keflavik verschwunden ist und der als ermordet
gilt. Aber es wurde nie eine Leiche gefunden. Sein Verschwinden löste
ein kleines isländisches Watergate aus; einige Leute waren deshalb
im Gefängnis. Es war der Beginn des umfangreichsten Kriminalfalls
des Jahrhunderts in Island. Die ganze isländische Gesellschaft lief
jahrelang Amok.
Und so nimmt sich Stella dieses Falles an. Auf ihre Art wirbelt sie wieder
durch die Instanzen. Nimmt kein Blatt vor dem Mund und ermittelt mit ganzem
Körpereinsatz.
Glück bekommst du nicht für Geld. Auch nicht für viel Geld
Stella ist also wieder da. Die Rechtsanwältin und Geldeintreiberin.
Sie liebt das Geld (in pecunia veritas). Treibt alle möglichen Schulden
ein: Wechsel, Pfandbriefe, Schecks und Kreditkartenrechnungen. Sie kauft
Schulden.
"Das Leben der Schuldner geht sie nichts an. Diese Angeberschweine
sind des Öfteren ganz schön erstaunt. Glauben, dass sie mit
ihr umgehen können wie mit jeder anderen Ehefrau. Hat einmal gedacht,
sie würde gegen die Klauen des Unrechts kämpfen. Wenn nicht
sogar die Welt retten. Dann kam sie darauf, dass die Welt sich gar nicht
retten lassen will. Da hat sie angefangen, an sich selbst zu denken."
Der Goldschlüssel zu ihrem Herzen sind Gier und Begierde. Und so
lautet ein Grundsatz: "Reich wird man nur, wenn man seine Hände
in anderer Leute Taschen hat." Mammon ist ihr Mann. Den gibt's auch
in der Bibel. Der Gott des Geldes. Gott all dessen, was die Räder
zum Laufen bringt. Gott unser aller, die den Mut haben, für sich
selbst zu leben.
Und sie ist es gewohnt, für sich selber zu sorgen. Keine Bindungen,
die man am nächsten Morgen nicht mehr lösen kann. So will sie
es haben. So soll es sein. Liebe ist für sie nur ein Spiel. Begierde.
Ob es nun männliche oder weibliche Partner sind.
"Nichts anderes oder mehr. Früher hatte ich so was immer völlig
im Griff. Habe immer genau darauf geachtet, mich nicht zu fest an jemanden
zu binden. Die Beziehung sollte sich jederzeit ohne Aufstand beenden lassen.
Trank auf ex und schmiss den Becher achtlos auf die Seite. Natürlich
möchte ich weiterhin das Leben genießen. Die Möglichkeiten
ergreifen, die sich bieten. Spaß an dem haben, was mich jedesmal
begeistert. An allem, was ich gerne haben möchte. Aber nur für
einen Moment. Ich muss aufpassen, dass ich die Initiative immer selbst
ergreife. Und zur richtigen Zeit aufhöre. Bevor es zu spät ist.
Keine unlösbaren Beziehungen. Das ist der Dreh."
Manchmal ist das Leben kalt, obwohl man Geld ohne Ende hat
Wer ist diese Rechtsanwältin, die sich schnoddrig, fluchend und erotisch
durch das Leben schlägt und die bei Mord Gänsehaut bekommt -
wie bei einem unerwarteten Kuss in die Leiste. Die es gewohnt ist, allein
zu sein. Es völlig in Ordnung fand, mit ihr alleine zu sein. Sie
brauchte keine ihr nahe stehenden Menschen, um ihr Leben zu verkomplizieren.
Selbständig. Von niemanden abhängig. Aber auch sie hat ihre
Geschichte. Langsam entwickelt sie sich in den vier bisher vorliegenden
Büchern. So hat sie in ihrer Lebensgeschichte auch einen Platz, den
sie verlassen hat. Das alte Hotel an der Ringstraße in den Ostfjorden,
wo sie aufgewachsen ist. Zuerst hat sie bei Mama und Papa gewohnt. Dann
nur noch bei Papa, nachdem Mama weggegangen ist. Sie ist dort seit Jahren,
seit sie angefangen hat, in der Stadt zu studieren, nicht mehr hingefahren.
Schon der Gedanke daran, jagte ihr im hellen Sonnenschein einen Schauer
durch den Körper. Die Eltern haben eine Internatsschule gekauft und
sie von innen und außen generalüberholt. Sind dann eingezogen
und haben ein Sommerhotel eröffnet. Stella lernte dort Siggi Palli
kennen. Siggi Palli - gehört zu dem, was längst vergessen ist.
Ganz zuunterst in der dunkelsten Kellerkammer des Gehirns vergraben. Ganz
tief begraben im Müllsarg der verbotenen Erinnerungen. Sie will diesen
ekelhaften Albtraum der Vergangenheit ganz bestimmt nicht wieder ausgraben.
"Darf diese alten Gespenster nicht wecken, die mausetot und irgendwo
tief vergraben sind. Die Geister des Elends, die ich längst hinter
mir gelassen habe." Von diesem wurde sie schwanger. Wurde von ihm
verraten. Ihre Welt brach in jenem schrecklichen Herbst zusammen, als
sie vierzehn war. Nachdem sie wußte, dass sie schwanger war. Sie
ließ abtreiben. Auf Betreiben ihrer Mutter. Der Vater setzte großes
Vertrauen auf die Dunkelheit als Lehrerin. Sperrte sie in den Keller.
Verlor die Angst vor ihrem Vater, als sie entdeckte, dass er ihre Sexualität
entdeckt hatte. Das sie ihn mit ihrer Sexualität beherrschen kann.
Da löste die Verachtung die Angst ab. Und der Rachedurst. Forderte
ihn heraus. Ihre Mutter erwischte ihren Vater und sie in einem Zimmer.
Ein Jahr später waren ihre Mutter und sie weg. Aber jede in eine
andere Richtung. Und so ist sie immer noch Single. Auch ungebunden, was
die Vergangenheit angeht. Hört nie etwas von Papa im Osten. Zum Glück.
Bekommt noch Briefe von Mama. Hin und wieder. Sie ist immer noch in Amerika.
Von einem Mann wird sie folgendermaßen beschrieben: "Eine von
diesen Emanzen, die alle Männer hassen. Frech, grob und zynisch.
Unmoralisch wie eine läufige Hündin. Sie ist nur zufrieden,
wenn es ihr gelingt, Männer zu demütigen. Sie psychisch und
physisch zu kastrieren. Frißt sie lebendig und schmeißt sie
dann weg, als seien sie Müll."
Ertränke deine Wut nicht in deinen eigenen Tränen
Aber Stella macht sich ihre Wut auf die Männerwelt zu nutze, die
sie beinahe zur Strecke gebracht hätten. Wußte, dass sie ihnen
niemals den Gefallen tun konnte aufzugeben. Niemals. Was zurückbleibt
ist die Angst vor der Dunkelheit, Angst davor eingesperrt zu sein.
"Darf dieser grauenhaften Dunkelheit nicht erlauben, die alten Schlangengruben
zu öffnen. Die widerlichen Erinnerungen, die ich die ganzen Jahre
in die tiefsten Verliese meines Gedächtnisses eingesperrt habe."
Alles was weh tut, wandert in diese Verliese. Gefühle, die sie anderen
Menschen gegenüber empfindet. Ásta, mit der sie ein Verhältnis
in "Der falsche Zeuge" hatte, hat sie verlassen. Hat ein schwedisches
Mädchen an der Uni kennen gelernt. Es macht sie immer noch traurig,
sie fröhlich lachend mit einer anderen zu sehen. Sie hat tapfer versucht,
sie zu vergessen. Ásta in das schwarze Loch der Vergangenheit einzusperren.
In die historische Schlangengrube. Dahin, wo auch alles andere gewandert
ist, das aus meinem Leben verschwunden ist.
"Irgendwas in ihr verlangt danach, weinen zu dürfen. Aber ich
versage mir das. Nie weinen. Nicht ein einziges Mal. Immer stark genug
sein, um alles auszuhalten. Sich nicht vom Unglück übermannen
lassen, egal wie widerwärtig es sein mag."
Die schrecklichsten Ungeheuer verstecken sich gerne in den idyllischsten
Seen
Politiker, Richter, die isländische Unterwelt, Islands Wirtschaftskreise
und die Medien - dass sind die Kreise, in denen Stella versucht, dem Recht
zu seinem Recht zu verhelfen. In denen sie versucht, einen Weg zu finden,
um zwei Herren gleichzeitig zu dienen: der Justiz. Und der Gerechtigkeit.
Diese Gesellschaftsschichten scheinen alles zu haben, was die Welt zu
bieten hat. Reichtum, Macht, Schönheit, Einfluß. Aber Glanzbilder
machen Stella immer misstrauisch. Die Wirklichkeit ist weder Glimmer noch
Glasur. Außerdem fühlt sich Dreck unter einer aufpolierten
Oberfläche am wohlsten.
Und diesen Dreck findet sie immer wieder. In der Politik: "..wo sich
die hohen Tiere über die Wampe streichen und unsere Steuern erhöhen.
Gibt es nicht zwei Seiten an jedem Politiker wie beim Mond? Die schöne
Vorderseite zur Veröffentlichung in der Presse. Und dann gibt es
noch die Rückseite, die sie versuchen, vor uns unwissenden Wählern
zu verheimlichen. Allgemein betrachtet, kann man die, die Politik betreiben,
in zwei Gruppen einteilen. Auf der einen Seite gibt es die Macher, auf
der anderen Seite das Fußvolk."
Macht verdirbt den Charakter
Im Schatten der Macht kann Bestechung gedeihen. Die, die an der Macht
sind, ziehen alle möglichen Leute an. Opportunisten, die Karriere
machen wollen, finanziell abgesichert natürlich, alle Privilegien
genießen, die die Macht mitbringt - natürlich auf Kosten der
gemeinen Steuerzahler.
Aber auch wie in ihrem neuesten Fall in der Justiz: "Es ist undenkbar,
daß ein Richter am Obersten Gericht, der zufällig dahinter
käme, daß Geirfinnur Einarsson noch lebt, solches Wissen geheim
halten würde. Ein solches Schweigen wäre ein wissentliches Vertuschen.
Teilnahme an vielfachem Gerichtsmord." Der Richter, des Mordes verdächtig,
verteidigt sich, nach folgendem Anwurf von Stella: "Ich glaube einfach
nicht, daß Du immer noch den Standpunkt des Systems vertrittst,
das Dir Freiheit und Ehre geraubt hat!" "Es ist mein Lebenswerk,
die höchsten Institutionen von Land und Volk gegen anarchistische
Kräfte zu schützen, und daran wird sich auch nichts ändern,
noch nicht mal mein schreckliches Missgeschick jetzt." "Was
ist mit dem Recht derer, die für einen Mord an einem Mann verurteilt
wurden, der noch lebt?" ..."Dann haben sie eben einen anderen
Mord und andere Verbrechen begangen."
Natürlich ist es nur die alte Überheblichkeit der Macht:
Das Volk bin ich.
Und sie beschreibt das Gemengenlage von wirtschaftlichen Einfluß,
von Reichtum und Extremismus. Von der Vergangenheit bis in die Gegenwart.
Eine Mischung, die neugierig macht. Und gefährlich ist.
"Viele mächtige Männer in der Gesellschaft waren den Nationalisten
wohlgesonnen, nannten sie junge Männer, mit Idealen und anderes in
dem Stil. Wir wissen auch, dass in der Bewegung, obwohl sie nach außen
hin schwach war, ein starker innerer Zirkel gearbeitet hat, der im Hintergrund
alles tat, was möglich war, um das Programm der deutschen Nazis zu
unterstützen. Diese Gruppe hat sich im Verborgenen getroffen, bis
der Weltkrieg mit der Niederlage Hitlers beendet wurde. Sie kamen im ersten
Jahrzehnt nach dem Krieg alle zu großem Einfluss in der isländischen
Gesellschaft. Manche wurden ins Parlament gewählt, manche bekamen
einen Posten mit weit reichender Macht im Staatsapparat."
Bestechungen, Erpressungen und Schiebereien. Nichts was es nicht gibt
auf dieser Insel. Kapital und Schulden werden so lange zwischen Firmen
hin und her geschoben, bis die Gesellschaft, die verschuldet ist, völlig
zahlungsunfähig ist. Das Wandern von Kapital von einer Tochtergesellschaft
zur nächsten, ist eine Art gesetzlich geschützter Diebstahl.
Die neuen Finanzjongleure, die in alle Richtungen expandieren, neue Firmen
kaufen oder gründen, diesen Wahnsinn sowohl mit Aktiengeschäften
als auch mit in- und ausländischen Krediten finanzieren. Und wenn
der Markt kollabiert ist, kommen sie mit ihrem Spielplatz in ernste Schwierigkeiten.
Am bittersten ist der Sieg des Bösen
Es sind keine psychologischen, rätselhaften Krimis, kein Kommissar,
der schwer an sich selbst trägt, die Stella Blómkvist uns
vorlegt. Es sind kurzweilige, unterhaltsame Geschichten, schnell gelesen,
mit einer Hauptperson, einer scharfzüngigen, sarkastischen Rechtsanwältin,
mit ihren Fehlern und Brüchen, die uns dennoch sympathisch ist. Dieser
freche, manchmal zynische Ton ist einer der Stärken ihrer Romane.
Sie liebt harte Drinks, ihren Jack Daniels, sie ist eine Art weibliche
Version von Philip Marlowe und eng verwandt mit V.I. Warshawski. Sie benutzt
die Männer lediglich als Sexualobjekte und knüpft keine emotionalen
Banden mit ihren Bettgenossen. Dies gilt für beide Geschlechter;
doch die Frauen scheinen ihre Gefühle mehr anzusprechen. Eine Frau,
die alle Tricks kennt. Besser als die Männer.
Die Krimis geben den Blick frei auf die isländische Gesellschaft,
wie sie in keinem Reiseführer beschrieben ist. Sie sind bar aller
Klischees, die so gerne von dieser Insel aus "Feuer und Eis"
verbreitet werden, zeigen keine rührselig, verklärte Romantik,
sondern zeigen die dreckigen, Hinterhöfe der Macht und des Geldes,
mit ihrem Dreck und Unrat und den Wesen, die sich davon ernähren.
Mit ihren Schattenseiten, dem Zwielicht zwischen Macht und Reichtum. Den
Wechselbeziehungen von denen, welche die Macht ausüben, und denen
die das Geld und den Einfluß haben, um die Politik in ihrem Sinne
zu beeinflussen. Und auch andere Gesellschaftsschichten bekommen ihr Fett
weg, die Juristen und die Medien.
Und die Bücher von Stella Blómkvist haben noch andere Stärken.
Am Ende der Geschichten, gibt es Lösungen, aber keine einfachen.
Manchmal bleiben Rätsel, die nicht aufgelöst werden. Zum Beispiel
in "Das ideale Verbrechen": hat Hallgerdur wissentlich Drogen
geschmuggelt oder ist sie ein Opfer ihrer Feinde geworden oder in ihrem
neuesten Fall: Ist der Mörder, der scheinbar Selbstmord begangen
hat, wirklich der wahre Mörder? Stella läßt Fragen offen.
Es gibt Lösungen aber sind sie die richtigen? Oder sind es nur die
einfachen Lösungen, damit alle mit ruhigem Gewissen weitermachen
können? Stella stellt alles in Frage und nichts ist das, was es zu
sein scheint.
Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
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